Morteza Sajadi: „Sport verbindet uns und gibt mir Hoffnung!"
Migration ist eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf, der am 23. Februar in der Bundestagswahl 2025 mündet. Viele Menschen sind von der Debatte betroffen, ohne dass sie mitwählen dürfen. Mit Morteza Sajadi vom Verein Roter Stern Sudenburg, einem Stützpunktverein des Programms „Integration durch Sport“, treffen wir in Magdeburg einen solchen Sportler. Wir reden mit ihm darüber, was ihm der Sport bedeutet, wie er die aktuelle Situation erlebt und wie er in die Zukunft blickt.

(© LSB Sachsen-Anhalt)
Der Fußballplatz von Roter Stern Sudenburg in Magdeburg ist von weißem Schnee bedeckt, als wir uns am Vereinsheim mit Morteza Sajadi und Stefan Schmidt treffen. Die beiden Männer kennen sich seit Jahren. Stefan ist Initiator, Morteza Übungsleiter einer offenen Fußballgruppe. Letzterer erzählt uns von seinen Erfahrungen, seit er nach Deutschland kam.
„Sport spielt eine große Rolle in meinem Leben“
Mortezas Familie kommt aus Afghanistan, er ist im Iran aufgewachsen und seit beinahe zehn Jahren in Magdeburg. Sport hat in seinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt, sagt er: „Ich treibe Sport seit ich so sechs, sieben Jahre alt bin [..] Hauptsächlich Fußball, ich habe immer Fußball gespielt. Zwischendurch war es auch mal Volleyball. Aber Fußball ist für mich das A und O.“
Als er nach Deutschland kam, war vieles erst schwierig. Ohne gesicherte Aufenthaltsgenehmigung durfte er sein Studium nicht fortsetzen, keine Deutschkurse besuchen, keine Ausbildung anfangen, erzählt er. Und auch Sportvereine kannte er noch nicht. Doch zumindest letzteres löste sich schnell. Bei der Sammelunterkunft, in der er wohnte, fanden mehrfach Veranstaltungen mit Fußballspielen statt. Er traf andere sportbegeisterte Neuzugewanderte, gemeinsam begannen sie vor der Unterkunft zu spielen. „Du musst dir vorstellen, vor der Unterkunft gab es einen großen, alten Schotterparkplatz, wo sonst LKWs immer standen. Da haben viele aus dem Wohnheim dann gespielt, Taschen als Tore gemacht und einfach gekickt“, berichtet Stefan.
„Hier könnt ihr den ganzen Tag kicken“
Stefan spielte damals selbst in einem anderen Verein, suchte aber Vereine, die offen für Sportgruppen mit Migranten und Migrantinnen sind. So kam er zu Roter Stern Sudenburg, für den er lobende Worte findet, und organisiert eine Fußballgruppe: „Die haben gleich gesagt, ja klar stellen wir euch einen Platz. Wir haben damals vormittags angefangen, weil dann hier kein Spielbetrieb war, kein Trainingsbetrieb. Und sonntags kam sogar noch einer aus dem Verein, hat uns den Platz aufgeschlossen und gesagt, da könnt ihr den ganzen Tag kicken, ich komme nach dem Kaffeetrinken zurück und schließe ab.“
So kickt die Gruppe regelmäßig auf dem Spielfeld von Roter Stern. Als offene Gruppe (ohne Mitgliedschaften) ist der Zugang einfach, unkompliziert, das Wissen um die Gruppe verbreitet sich von Mund zu Mund. Jungen und Männer verschiedenen Alters spielen zusammen, hauptsächlich aus Afghanistan und dem Iran, gelegentlich auch aus anderen Ländern. Die Kommunikation ist manchmal eine Herausforderung, in der Hitze des Spiels mischen sich Farsi und Deutsch. Immer dabei Morteza, der Übungsleiter der Gruppe. Er organisiert sie, trainiert, kümmert sich um die Neuen und um Freundschaftsspiele mit anderen Gruppen.
Auf dem Fußballplatz diskutieren sie auch die Anschläge der vergangenen Monate, die Morteza als eine „große Schande, große Katastrophe für jeden von uns“ bezeichnet. Auch auf seiner Arbeit ist es ein Thema. „Jedes Mal, wenn du zur Arbeit gehst und hörst dann schon von anderen Kolleginnen, es ist schon wieder was passiert, in München, Aschaffenburg, Magdeburg, überall in Deutschland, das ist kein schönes Gefühl. Das zerstört den Tag komplett.“
„Gibt mir Hoffnung auf Fairness im Sport“
Seine Ausbildung hat Morteza in der Automobilbranche gemacht. Er wurde übernommen und arbeitet heute als Berater. Nicht immer war sein Weg einfach, doch er mag seine Arbeit und freut sich über alle Kund*innen, die ihm vertrauen, ihn fragen, wie es ihm in seiner aktuellen Lebenssituation geht. Auch vom Sport kennen Stefan und Morteza verschiedene Seiten. In ihrem Verein gibt es sehr viele Kinder mit Migrationsgeschichte und Stefan berichtet von Auswärtsspielen, bei denen Erwachsene am Seitenrand oder auch Schiedsrichter die Mannschaft schikaniert haben. Doch auch von Schiedsrichtern, die eingegriffen haben, oder Trainern, die sich für Fehlverhalten entschuldigt haben, erzählt er: „Also es gibt schon noch so ein bisschen die Hoffnung, dass dieser Fairness Gedanke im Sport irgendwie noch einen Tick mehr als gerade in der Gesellschaft da ist.“
„Dann fühle ich mich endlich als Teil dieses Landes!“
Die politischen Debatten zur Migration sind für Morteza nicht abstrakt, sondern betreffen seinen Alltag sehr direkt, ob er will oder nicht. Er mag keine Politik, sagt er. „Aber das politische ist so eine Sache, du kannst dich von Politik nicht fernhalten. Du bist irgendwie reingezogen, musst du dann gucken, wie deine Lage wird. Ich als ein Migrant hier in Deutschland bin dazu irgendwie indirekt gezwungen, die Nachrichten zu verfolgen. Was wird denn jetzt im März passieren?“
Sein Aufenthalt ist nach wie vor nicht gesichert, der befristete Aufenthaltstitel wird alle zwei Jahre verlängert. Das Thema ist für ihn ganz zentral. Einen Antrag auf Einbürgerung hat er gestellt: „Weil dadurch fühle ich mich mehr gebunden an Deutschland und dann fühle ich mich endlich als ein Teil dieses Landes und das ist mir ganz, ganz wichtig.“ Persönlich fühlt er sich schon dazugehörig: er hat sich seit Jahren ein Leben hier aufgebaut, hat die Sprache gelernt, einen Job, engagiert sich sozial. „Aber ohne Einbürgerung bist du dann unsicher, was passiert nach dieser Wahl, ob mein Aufenthaltserlaubnis verlängert wird oder nicht? Auf einmal können die sagen, wir verlängern nicht, da musst du dann zurück“, sagt er.
'Ob er für den Staat dazu gehört, „das muss auch auf dem Papier festgelegt werden“. Aktuell fühlt er sich wie ein Heimatloser: „Ich habe kein Land, also keine Staatsangehörigkeit“. Er hofft auf einen positiven Beschluss noch in diesem Jahr, um endlich auch Pläne für die Zukunft schmieden zu können. Bis dahin bedeutet die bevorstehende Bundestagswahl für ihn Unsicherheit, ob der Einbürgerungsprozess ihm neue Hürden in den Weg stellen wird.
Doch Morteza Sajadi ist geduldig, optimistisch, er gibt nicht auf. Er sieht nicht nur die Abneigung, sondern vor allem auch den Zusammenhalt und die Unterstützung. Und die hat er auch hier, wenn er am Wochenende wieder mit dem Ball an den Füßen über das Feld flitzt: von Freunden umgeben, Afghanischen, Deutschen, allen dazwischen und allen darüber hinaus.
Hintergrund: Der Verein „Roter Stern Sudenburg“ aus Magdeburg ist einer von aktuell 38 Stützpunkvereinen des Programms „Integration durch Sport“ in ganz Sachsen-Anhalt, die sich für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund engagieren.