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Sport und Gesellschaft

„Wir nutzen den ganzen Körper zum Sprachelernen“

| Nina Kolarzik

„Sport spricht alle Sprachen“ wird gern gesagt, oder „im Sport versteht man einander auch ohne Worte“. Der Sportverein der Franckeschen Stiftungen 2008 e.V., der sich seit vielen Jahren als Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ für Menschen mit Migrationsgeschichte engagiert, geht noch einen Schritt weiter, indem er Sport, Bewegung und Sprachbildung zusammendenkt.

Wir nutzen den ganzen Körper zum Sprachelernen
(© LSB NRW /Andrea Bowinkelmann)

Désirée spielt gerne Badminton mit ihrer Tochter, erzählt sie mir. Sie spricht neben Deutsch auch fließend Englisch und sehr gut Spanisch, sowie etwas Polnisch und Französisch. Arabisch kann sie einiges verstehen, doch nicht aktiv sprechen. Dass ich mit Désirée über ihren Lieblingssport und ihre Sprachkenntnisse spreche, hat einen Grund. Denn sie bringt Sport und Sprache beim SV Francke 08 e.V. zusammen.

Lernen mit allen Sinnen

„Sprache und Bewegung“ heißt das Angebot, das sich in drei Kursen an Kinder im Vorschulalter richtet. Die Kinder spielen gemeinsam, singen, tanzen, toben herum und werden dabei stets durch konkrete Aufgaben und Wörter begleitet. Sie lernen die Sprache durch viele Wiederholungen, das Nachahmen und Nachsprechen. „Das klingt dann bestimmt immer ganz lustig, wenn ich sage ‚die Banane ist gelb` und dabei eine Stoffbanane zeige, die jedes Kind auch in die Hände bekommt. Wir wiederholen alle im Chor, ‚die Banane ist gelb‘“, erzählt Désirée. Ebenso wichtig ist die Bewegungspraxis beim Sprechen der Wörter: „Die Sprache wird dadurch weniger abstrakt und greifbar. Das, was an der Tafel oder in Büchern steht, bringen wir in Bewegung unter. So ist es viel leichter, Wissen und Kommunikationsmuster anzunehmen. Es geht darum, Wörter ‘anfassbar’ zu machen. Wir haben zum Beispiel das Märchen, ‚Der kleine, dicke Pfannkuchen‘ gelesen und danach angefangen zu kochen. Wir nutzen dabei die Utensilien aus der Geschichte, die Pfanne, den Löffel. Und dann sind wir gerollt wie die Pfannkuchen. Wir versuchen das, was wir als Wort hören, mit Bewegungen umzusetzen.“ Durch die Erlebnisse und Emotionen, die mit der Sprache verknüpft werden, bleiben die Wörter besser in Erinnerung. Dabei spielen verschiedene sinnliche Aspekte eine Rolle: „Die ganze Haptik, Optik, Mimik, Gestik und Akustik, alles ist dabei. Wir nutzen den ganzen Körper, sodass die Kinder wirklich auf allen Kanälen Sprache erleben“, erläutert Désirée.

Manchmal klettern die Kinder durch einen Parcours, gehen spazieren, oder lesen eine Geschichte, je nach Energie und Stimmung. Matten, Spielgeräte und mehr liegen dafür bereit. Es ist kein Deutschunterricht wie in der Schule: „Es ist ein freies, ursprüngliches Spracherwerbprinzip, bei dem es darum geht, sich über Bewegung, Sprechen und Musik einer fremden Sprache spielerisch zu öffnen. Natürlich haben wir trotz aller Flexibilität feste Routinen wie z.B. Begrüßungsrituale, Abschiedsrituale oder feste Such-Dir-Das-Spiel-Aus-Tage. Solche Rituale oder Routinen sind ganz wichtig. Ansonsten ist das Ganze kreativ und flexibel, wobei ich immer ein Tageskonzept oder längere Konzepte vorbereite.“

Mitreden bedeutet teilhaben

Das besondere an dem Angebot liegt nicht nur in der Idee, Sprache mit Bewegung zu verbinden. Für die teilnehmenden Kinder und Eltern ist es auch die Atmosphäre, das Wohlgefühl, fällt Désirée auf. „Die Kinder freuen sich, hierher zu kommen. Sie sind unglaublich froh, wenn sie hören, dass morgen der Kurs ist, berichten die Eltern. Auch wenn ich nicht jede Sprache verstehe, ist ein Raum geschaffen, wo sie sie selbst sein können. Wo nicht Mama, Papa, Erzieher*innen sagen, was sie machen sollen, wo sie einfach mal loslassen können.“ Diese Atmosphäre nimmt die Angst davor, Fehler zu machen. Die Kinder sind offener und sprechen ungehemmter als in großen Schulklassen. Freundschaften bilden sich sowohl zwischen Kindern als auch Eltern. Der Kurs ist damit nicht nur ein Ort zum Spracherwerb, sondern auch ein Treffpunkt, an dem soziale Kontakte geknüpft werden. Es ist mehr als ein Ort zum Lernen.

Désirée hat den Eindruck, dass sie selbst zur Bezugsperson für viele der Kinder wird. Man trifft sich außerhalb des Kurses zufällig und kommt ins Gespräch. Sie merkt, dass Familien, die bereits aus ihrer Heimat geflohen sind, hier neue Wurzeln schlagen - die Kinder besonders schnell. Désirée findet es wichtig, diese neuen Wurzeln zu schützen, gerade, wenn die Familien in Halle bleiben. Dafür tragen auch die Eltern eine besondere Verantwortung. Ihre Ziele mit dem Angebot sind klar: „Natürlich die Integration und auch die Partizipation. Denn über Sprache kann man mitreden, mitgestalten. Es gibt viele Erzieher*innen und Lehrer*innen, die sich engagieren und versuchen, die Kinder mitzunehmen, auch trotz mangelndem Sprachverstehen. Aber wenn man die Sprache kann, wenn man versteht, was da gewollt wird, ist das eigene Mitwirken viel größer.

Sportverein und Sprache als Türöffner

Die Nachfrage für Désirées Kurse ist vorhanden, die Wartelisten sind lang. Dennoch möchte Désirée ganz bewusst nicht zu viele Kinder pro Kurs aufnehmen, damit jedes einzelne seine Zeit zum Sprechen bekommt und auch gehört wird. Erreichen möchte sie aber so viele Kinder wie möglich: “Egal wo sie herkommen, egal ob sie hier in Deutschland bleiben. Manche Kinder sind drei Monate da, dann gehen sie wieder weg, und es ist schade, weil ja auch Energie hineinfließt. Aber wenn ich ein bisschen was mitgegeben habe, dass es sich lohnt, andere Sprachen zu lernen und man keine Angst vor einer fremden Sprache oder Kultur haben muss, hat man doch schon gewonnen und für die Zukunft vielleicht so manche Tür geöffnet.

Weiterführende Informationen:

Hintergrundinformationen

Die Bedeutung von Sprache wird jährlich am 26. September mit dem “Europäischen Tag der Sprachen” hervorgehoben. Dieser Tag, 2011 durch den Europarat initiiert, feiert die sprachliche und kulturelle Vielfalt Europas. Der 26. September ist zudem als “Tag des Flüchtlings” ein Anlass, um auf die Situation von Geflüchteten aufmerksam zu machen. Der Aktionstag ist Teil der Interkulturellen Woche, die in diesem Jahr vom 21. bis 28 September unter dem Motto “dafür!” stattfindet. Ziel ist zu informieren, persönliche Begegnungen zu schaffen, Vorurteile abzubauen und ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Lebenslagen zu fördern.

Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ wird mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie durch den DOSB gefördert. Der LSB Sachsen-Anhalt erhält zudem eine projektbezogene Förderung durch das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt.

 

 

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