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Sport und Gesellschaft

Blau-Weiß Grana: „Wir haben uns gegenseitig integriert“

| Nina Kolarzik

Am 20. Juni wird jährlich der Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen begangen, ein Aktionstag, um auf die Lebensrealitäten und Bedürfnisse von geflüchteten Menschen aufmerksam zu machen.  Zu diesem Anlass hat das Programm „Integration durch Sport“ einen seiner Stützpunktvereine besucht: Der SV Blau-Weiß Grana ist 2022 mit seinem Engagement für Geflüchtete durch zahlreiche Medienberichte bekannt geworden. Ein Gespräch darüber, wie sich Verein, Geflüchtete und die Fußball-Community der Region seitdem entwickelt haben.

Beim SV Blau-Weiss Grana sind alle willkommen.
(© SV Blau-weiß Grana)

Ich sitze im Schatten neben dem Fußballplatz, während die Sonne auf den Rasen brennt. Wolfgang, der viele Hausmeister-Tätigkeiten übernimmt, wässert den Rasen. Alles, ist in den Vereinsfarben blau-weiß gehalten. In einer Ecke hängen Krawatten an einem Nagel, Überreste einer Tradition, zum letzten Spiel der Saison Krawatten zu tragen. Doch nicht das Saisonende und die sportlichen Leistungen haben mich heute hierher in die Umgebung von Zeitz geführt, sondern ein besonderer Anlass: Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag!

"Sport ist Teil ihrer Geschichte und gemeinsames Hobby"
Dieser Aktionstag wurde von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen und soll weltweit das Bewusstsein für die Situation von Geflüchteten stärken, auf ihre Herausforderungen, Rechte und Bedürfnisse aufmerksam machen. Die Zahl an geflüchteten Menschen steigt weltweit seit Jahren, Ende 2024 waren rund 123 Millionen Menschen auf der Flucht. Sport ist Teil ihrer Geschichten: er ist für viele Geflüchtete ein wichtiger Bestandteil des Alltags, als Beschäftigung während Wartezeiten für Asylbeschlüsse oder um vor Ort und in der Gesellschaft anzukommen. In Sportvereinen treffen viele Personen und ihre Geschichten aufeinander, das gemeinsame Hobby verbindet sie.

SV Blau-Weiß Grana: „They call us Ausländerteam“
Um davon zu erzählen, besuche ich den SV Blau-Weiß Grana. Der Verein ist vielen durch die Dokumentation „They call us Ausländerteam“ des MDR ein Name. Darin werden die Herausforderungen der Mannschaft, die viele Geflüchtete in ihr Team integriert hatte und deswegen Anfeindungen ausgesetzt war, einem weiten Publikum bekannt. Der Teil ihrer Geschichte ist schon weithin bekannt. Doch seit den Dreharbeiten hat die Welt sich weitergedreht, die damaligen „Ausländer“ und der Verein haben sich weiterentwickelt. So höre ich heute von den neuen Fähigkeiten und Stärken eines Vereins, der Geflüchtete im eigenen Umfeld unterstützt. Zusammen mit dem 1. Vorsitzenden Björn Koch, seiner Frau Sina und weiteren Vereins- und damit Familienmitglieder sitzen wir in gemütlicher Runde. Alle steuern ein paar Geschichten bei und berichten vom Vereinsalltag.

„Wir sind da reingeschlittert und haben das einfach gemacht“
Dass sich der Verein so engagiert, ist aus der Situation heraus entstanden, durch den Zufall des nur 500m entfernt gelegenen Flüchtlingsheims. „Wir waren da halt der nächstgelegene Sportplatz. Und dann standen sie hier und haben gefragt, ob sie hier Fußball spielen können. Wir haben sie erst mal auf den Mittelplatz geschickt. Dann wollten sie mit im Team mit Fußball spielen. Da hattest du erst zwei in der Kabine sitzen, zum nächsten Training waren es fünf und irgendwann waren das 25-30 Leute“, berichtet Björn aus der Anfangszeit. Die Geflüchteten hatten Zeit und Lust auf den Sport. Für Blau-Weiß war das von Nutzen: „Das war ganz gut, weil es zu diesem Zeitpunkt hier in der Mitgliederanzahl ziemlich bergab ging. Und durch die Neuen war es möglich, die zweite Männermannschaft noch zu stellen.“ Nicht alle der Geflüchteten bleiben lange. Manche werden in andere Landkreise versetzt. Andere ziehen zur Familie in anderen Teilen Deutschlands oder in die Großstädte, wo sie bessere Chancen auf Arbeit haben. Doch die Fußballer, die geblieben sind, haben sich in und um Grana ein Leben aufgebaut: „Die, die hier sind, haben ihr geregeltes Leben, die haben Familie, ihren Job, die sind mittlerweile Deutsch geworden“, erklärt mir die Runde. Viele Herausforderungen lösen sie nun selbst, fungieren als Übersetzer, wenn neue Leute aus dem Ausland in den Verein kommen. Sina erzählt stolz von Zalmai, einem jungen Mann, der zu Beginn gebrochenes Deutsch gesprochen hat und inzwischen als Kapitän der zweiten Mannschaft eine Vorbildfunktion einnimmt.

„Die waren einfach da und wollten Fußball spielen…“
Nicht nur die Geflüchteten haben sich verändert, sondern auch Blau-Weiß. Vor 2015 war Integration kein großes Thema. „Wir haben es uns jetzt nicht ins Hausaufgabenheft geschrieben, dass wir neue Kulturen kennenlernen wollen, das kam einfach. Die waren da, die wollen Fußball spielen, das sind ganz normale Typen“, erzählt Björn. Die „normalen Typen“ und die Leute von Blau-Weiß lernten einander kennen und vertrauen. „Dann fingen die an, sich zu öffnen. Einer sagt, ‚ich würde gerne arbeiten‘. Dann hast du dich mit dem Thema auseinandergesetzt: was brauchst du dafür? Was hast du für einen Aufenthaltsstatus? Es ist ein Akt, jemanden eine Arbeitserlaubnis zu beschaffen“. Mit den Neuzugängen veränderten sich auch Tätigkeiten im Verein. Sie haben recherchiert, Kontakte geknüpft, neue Kompetenzen entwickelt. „Ich will nicht sagen, dass ich mich großartig verändert habe, ich habe mich nur mit dem Thema mehr auseinandergesetzt. Mittlerweile ist das ein Kinderspiel, wir kennen die Abläufe, wie sowas funktioniert“, reflektiert Björn. Die Recherche, Telefonate, es kostet viel Zeit und Energie, weil man zum ersten Mal die speziellen Herausforderungen bedenken musste. Inzwischen ist es Teil des Alltags, sie kennen die Hürden oder wie man sie gar nicht erst nehmen muss.

„Du muss immer irgendwo Kompromisse eingehen“
Beide Seiten gehen aufeinander zu, wie Sina es ausdrückt. Das wird im Vereinsalltag sichtbar. Blau-Weiß hat das Essensangebot bei Vereinsfesten angepasst: „Alle lernen aus jeder Situation: bei den Moslems, da weißt du dann, du solltest auch Geflügel zum Grillen holen, das darf aber nicht auf den gleichen Grill. Mittlerweile ist das hier einfach Normalität“. Gleichzeitig passen sich die neuen Spieler an die „deutsche Pünktlichkeit“ an: „Wir hatten Auswärtsspiele, da haben wir gesagt, wir müssen 13:00 Uhr los. 13:45 kam der letzte und sagte, ‚Ich bin doch jetzt da‘. Mittlerweile hast du dieses Problem nicht mehr.“ Wolfgang sagt dazu: „Wir haben uns gegenseitig integriert.“ Die Bereitschaft, sich für die Neuen zu verändern, die braucht es, ergänzt Björn: „Du muss immer irgendwo Kompromisse eingehen, darfst dich vor Veränderung nicht scheuen, sonst wird es halt nix. Sonst sind die Leute gleich wieder weg.“ Sachsen-Anhalt möchte keine Zwischenstation sein. Dafür braucht es Vereine wie Blau-Weiß, bei denen sich die Leute wohlfühlen.

„Jeder hier kennt nun die Haltung von Blau-Weiß“
Auch das Vereinsumfeld hat sich verändert. Sie vermuten, dass sie 2019 auch deswegen viel Hass abbekommen haben, weil sie die ersten in der Gegend waren, wo gleich mehrere Menschen ohne deutschen Pass spielten. Mittlerweile ist das auch bei anderen Vereinen Normalität, und die Beziehungen untereinander sind kooperativ. Diejenigen, die mit ihnen Probleme haben, sind leiser geworden. Jeder kennt nun die Haltung von Blau-Weiß und weiß, dass sie sich wehren, für ihre Werte und Menschen einstehen. Lieber wäre es Björn, wenn sich die Haltung selbst ändert. Doch auch dies hat er schon gesehen, es gibt ihm Hoffnung.

„Alles für die Mannschaft, alles für den Klub“
Auch im Verein selbst gibt es mal Probleme, doch Wolfgang wiederholt stets den Vereinsslogan: „Alles für die Mannschaft, alles für den Klub‘“. Der Zusammenhalt untereinander, das Familiengefühl, das spiegelt die Gruppe immer wieder. Ob es bei Wohnungs- und Arbeitssuche oder bei Trauerfällen ist, sie helfen einander: „Wenn man Hilfe braucht, dann hilft man sich, dafür ist man ein Verein.“ Wo man herkommt, ist egal, „hier gilt nur eins: benimm dich, halt dich ja die Regeln und alles ist in Ordnung“. Björn setzt auch mal Grenzen, damit das Miteinander im Verein funktioniert: “Alle müssen halt wissen, bis dahin und nicht weiter, benimm dich und dann ist alles cool. Ich würde dich immer verteidigen, aber es geht nur im gegenseitigen Einvernehmen.“ Das funktioniert nicht immer: es gibt Alteingesessene und Zugezogene, die die Unterstützung ausnutzen oder Unruhe stiften und die sie deswegen wegschicken. „Da ist es natürlich wichtig, sich zu erinnern, das sind Einzelfälle, damit du nicht genau in das Fahrwasser rechter Stimmen gehst.“

„Eine Niederlage gegen Rassismus war keine Option“
Es gab Momente, die sie zweifeln lassen. Sie bekamen Hass und Drohungen, in das Vereinsheim wurde eingebrochen, einige Schiedsrichter dementierten rassistische Vorfälle. „Du hattest oft das Gefühl, du kämpfst gegen Windmühlen. Und man stellt sich die Frage, warum macht man das“, sagt Björn. Und, warum machst du das? „Damit wir hier nicht schließen müssen“, ist die Antwort. Warum ist das keine Option? „Meine beste Fußballzeit hatte ich hier im Verein, habe tolle Menschen kennengelernt. Ich dachte mir, ‚du kannst doch jetzt nicht aufgeben, du kannst die nicht gewinnen lassen. Ich könnte nie wieder erhobenen Hauptes durch Zeitz gehen.“ Sina ergänzt: „Es wäre auch eine Niederlage gegen Rassismus gewesen.“ Das wollten sie nicht zulassen. Zum Sport gehört Fairness, Gerechtigkeit, so hat er es gelernt, sagt Björn. „Deswegen habe ich mich immer wieder gewehrt.“

Herausforderungen bleiben, noch immer wird mehr Unterstützung von den Sportverbänden gebraucht. Doch auch andere Themen haben wieder Raum: Wolfgang überlegt, wie er in der Hitze den neuen Rasen erhalten kann. Mehr denn je ist der Verein eine große Familie, man unterstützt einander, die einst Geflüchteten sind angekommen. Blau-Weiß Grana will zeigen, dass es funktioniert: dass Fußball Begegnungen schafft, dass das gute Zusammenspiel einer Fußballmannschaft nicht von der Herkunft abhängt.

Weiterführende Informationen zum Thema:
SV Blau-Weiß Grana: https://www.blau-weiss-grana.de/
Weltflüchtlingstag: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/weltfluechtlingstag-fragen-und-antworten/355844
Dokumentation: „They call us Ausländerteam“: https://www.ardmediathek.de/serie/they-call-us-auslaenderteam/staffel-1/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kZXJlaWhlbi9hNjhiZmZlOC05NGEyLTRmNGQtOWE0MS02ZTBiNTA2NDU0OGE/1

Hintergrund:
Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ wird mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern und durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie durch den DOSB gefördert. Der LSB Sachsen-Anhalt erhält zudem eine projektbezogene Förderung durch das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt.

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